Theaterstück „Schutzflüchtig – Geschichten von Fliehenden“

Professionelle Darbietung und großartige Resonanz

ARNSTEIN.  Auf außerordentlich große Resonanz traf der Auftritt der Theatergruppe der Gerbergasse Karlstadt mit ihrem Stück „Schutzflüchtig“ im Pfarrheim in Arnstein.

Der Helferkreis Arnstein hatte das Ensemble mit seinem Regisseur Wolfgang Tröster eingeladen, eine selbst entwickelte Szenenfolge zu dem Thema Flucht, Asyl, Vertreibung in Arnstein aufzuführen.

Dass das Stück den Nerv der Zeit trifft, konnte man unschwer an der durchweg zustimmenden und emotionalen Reaktion des Publikums, so zum Beispiel auch des stellvertretenden Bürgermeisters Franz-Josef Sauer, erkennen. Den Darstellern, überwiegend ehemalige SchülerInnen des Johann-Schöner-Gymnasiums Karlstadt, gelang es, die Zuschauer mit den authentisch dargebotenen Situationen in ihren Bann zu ziehen und ihnen hautnah zu vermitteln, was es bedeutet, unmittelbar von Ermordung, Zerstörung der Wohnung, Verlust der Heimat betroffen und bedroht zu sein beziehungsweise die Tötung von Nachbarn, von Freunden und Verwandten direkt miterleben zu müssen.

„Ich bin ja erst 15, das ist ungerecht!“

Das wird schon in der ersten Szene deutlich, in der die dramatische und zugleich tragische Flucht einer syrischen Familie, deren Kind ein Schlepper in einem Akt unsäglicher Brutalität ins Meer wirft, nachgespielt wird.

„Ich bin ja erst 15, das ist ungerecht!“, ruft Ismael eindringlich gespielt von Eliza Zeilmann, in der nächsten Szene, in höchster Seenot. Seine Flucht von Algerien übers Mittelmeer hat  ihren Grund in absoluter Perspektivlosigkeit angesichts ökologischer Katastrophen, die von Menschen gemacht sind. Er überlebt zwar und kehrt zu seiner Mutter zurück, aber er muss feststellen: „Das Meer hat den Jungen in mir fortgetragen und ich weiß, dass er nie mehr zurückkehren wird.“

Kinder, missbraucht als Soldaten

Auch in dem Stück „Flucht aus Afghanistan“ ist ein junger Mensch, glaubwürdig dargeboten von Julia Holleber, Mittelpunkt des Geschehens. Dass Kinder als Soldaten missbraucht, ja sogar in ein Selbstmordattentat getrieben werden, ist grausige Realität und offenbart die ganze Unmenschlichkeit von Kriegen, wie sie in vielen Ländern geführt werden und jungen Menschen jegliche positive Zukunftsperspektive nehmen. In der besagten Szene gelingt es dem Jungen, zusammen mit anderen in einer abenteuerlichen Flucht und unter vielen Entbehrungen und Gefahren innerhalb von zwei Jahren nach Deutschland zu gelangen. Nach dem Eintreffen sehen sie sich zusammen mit anderen Flüchtlingen und der besagten Familie aus Syrien, einer disparaten Welt von kalter Bürokratie und Fremdenfeindlichkeit ausgesetzt, aber es begegnen ihnen auch Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft.

Eingeklagt: Die Würde des Menschen

Über der gegenwärtigen Ankunft von Flüchtlingen  in  Deutschland  wird  meist übersehen, dass sich angesichts von derzeit 60 Millionen Flüchtlingen auf der Welt die wirklich großen Fluchtbewegungen in anderen Ländern abspielen, zum Beispiel in Afrika. Dort ist  neben Krieg, Dürre und Umweltschäden auch die politische Verfolgung eine der Hauptursachen. Das zeigt die Gruppe eindringlich in einer Handlungsfolge über die Flucht eines Studenten (Nico Fleischmann), der aus Protest angesichts der unsäglichen Zustände in seinem Land Kongo (Korruption, Misswirtschaft) gegen die Regierung protestiert und deswegen politisch verfolgt wird. Er schließt  sich mit anderen zu einer aktiven Protestbewegung zusammen. In dieser Szene kommt auch  das Schicksal von Frauen zum Tragen. Misshandlung, Vergewaltigung, Unterwerfung unter die Macht sadistischer Männer sind ein grausames Los, das tausende Frauen auf ihrer Flucht durch fast ein Dutzend von Ländern ertragen müssen. Eindringlich aufgezeigt in der aufrüttelnden Rede einer politisch denkenden Aktivistin (R. Endres), die wie der Protagonist dieser Szene,  Demokratie und Würde des Menschen einklagt und somit an diesem Abend auch ein Stück Hoffnung vermittelt.

Schicksale von Flüchtlingen aus Arnstein

Ebenfalls etwas Hoffnung, dazu außerordentliche Authentizität und hohe Emotionalität bekam die Vorführung durch das Auftreten von drei jungen Menschen, die ihr Schicksal in bewegender Weise schilderten; so wies eine Frau aus dem Iran darauf hin, dass sie sich in ihrer Heimat als politisch interessierte Frau nicht entfalten konnte, sondern diskriminiert wurde. Ein Flüchtling aus Syrien erzählte in ergreifender Weise, wie durch den Bürgerkrieg für seine Familie alle Zukunftshoffnungen zunichte gemacht wurden und als einziger Ausweg die Flucht blieb. Er bedankte sich ausdrücklich für die große Hilfsbereitschaft in Arnstein. Ein anderer Flüchtling aus der Ostukraine berichtete von den Auswirkungen des Bürgerkrieges in Luhansk, ihrer Heimatstadt, und wie sie durch ihr Weggehen ihre Familie von den Schrecken dieses Konfliktes fernhalten wollte. Alle drei Asylbewerber ließen schon fortgeschrittene sprachliche Kompetenz  und damit auch gute Ansätze für eine gelingende Integration erkennen.

Die Intensität des Erlebens und Nachdenkens über das Gesehene sowie deren überzeitliche Brisanz wurde noch gesteigert durch die stilisierte Sprache griechischer Theaterchöre, angelehnt an den Dichter Aischylos, der im Jahre 466 sein Stück „Die Schutzflehenden“ schrieb und schon damals die Frage nach dem Asyl als  Menschenrecht stellte, das gerade auch dann verteidigt werden muss, wenn die politischen Vorzeichen eher ungünstig sind.

Gedichte, Persiflagen und musikalische Beiträge lockerten die emotional ergreifende Aufführung auf. Zwischen den Szenen sorgten reflektierende Elemente (Gedichte von B. Brecht, H. Domin) und auch humoristisch-satirische Auftritte mit Pegida- und Facebook-Persiflagen für Auflockerung, aber auch für die Entlarvung fragwürdiger Verhaltensweisen. Die gelungenen musikalischen Beiträge der Musikgruppe beförderten ebenfalls die Akzentuierung und Pointierung des Gesehenen.

Das schlichte Bühnenbild  mit einer Wand in der Mitte, deren unterer Teil die Struktur einer Mauer und somit die Situation von Flüchtlingen andeutete und oben über Bilder und Texte weitere Informationen vermittelte, passte zur Gesamtintention des Stückes.

Der Helferkreis Arnstein hatte mit umfassender Bekanntgabe und perfekter Vorbereitung diese Veranstaltung ermöglicht. Diakon Artur Eisenacher zeigte sich in seinem Eingangswort von dem großen Zuspruch überwältigt. Er informierte die Anwesenden über die vielfältigen Aufgaben und Herausforderungen des Helferkreises und bat um weitere Unterstützung.

Der Theaterabend selber war ein bestes Beispiel für Integration, denn die Flüchtlinge aus Arnstein und Gänheim hatten maßgeblich bei dem Auf- und Abbau mitgeholfen und die syrischen und iranischen Spezialitäten dafür zubereitet. Fotos auf den Informationstafeln ließen die Gäste einen Einblick in das Leben der Noterstaufnahme bekommen und waren ein Anlass, miteinander ins Gespräch zu kommen.

Gemeinsam Kindern und Jugendlichen helfen

Den Spendenerlös des Abends wird der Helferkreis für seine umfangreiche Arbeit verwenden. Insbesondere für die Kinderbetreuung werden immer wieder Materialien benötigt – aber auch helfende Hände, die die Kinder und Jugendliche bei den Angeboten betreuen. Interessierte können sich über die Homepage des Helferkreises (helferkreis.arnsteinernetz.de) informieren oder auch via betterplace spenden beziehungsweise über E_Mails mit der Leitung Kontakt aufnehmen (leitung@helferkreis.arnsteiner.net).